Gedanken
Erinnerungen
Da stehe ich nun, nach so langer Wartezeit. Mitten auf 58.000 qm Freifläche! Nach diesem gefühlt endlosen Lockdown, der zwischen Homeoffice und Supermarkt, seltenen Gottesdienstbesuchen und Treffen mit Freunden eher eingeschränkt-beschaulich verlief, nun das unbeschreibliche Gefühl von Weltoffenheit, Vielfalt, Kunst, Kultur, Innovation und Vorfreude. Gibt es das noch?
Ich muss mich tatsächlich erst einmal ein wenig sortieren, denn ich werde geradezu überflutet von Eindrücken. Aus Sarah Connors Album Herzkraftwerke kommt mir gerade das Lied Muttersprache zu Ohren, ich schaue auf den Becher mit ihrem Konterfei in meiner Hand und merke, dass ich mir den noch gar nicht so richtig angeschaut habe. Das kühle Getränk schmeckt besser denn je. Ich sehe das Konzert mit all den Lichtspielen, Sarah auf der Bühne im Rampenlicht, umhüllt von violetten Lichtwolken. Der Rhythmus reißt einen richtig mit.
Apropos Getränk! Es riecht auf einmal nach marokkanischem Pfefferminztee. Ich sehe exotisch bekleidete Menschen, die innerhalb einer doch sehr nordafrikanisch anmutenden Pflanzenwelt auf Tische mit wertvollen Holzschnitzereien hunderte von kleinen Schalen mit arabischem Essen stellen. Wie aromatisch das riecht. Ja, und da sind auch die goldfarbenen Teekannen, aus denen der Tee im hohen Bogen in kleine bunte Gläser gegossen wird. Nur ein wenig zu süß finde ich ihn.
Dann die neuesten didaktischen Materialien auf optisch endlosen Tischen und in Regalen, alles so professionell, bunt und anziehend präsentiert...da kommt die Lust auf Berührung in den Vordergrund. Anfassen, ausprobieren und mit den Menschen ins Gespräch kommen. Fragen stellen, sich austauschen, Tipps bekommen und geben, lernen. Berufliche Kommunikation eben. Mit vielen fremden Menschen, die ähnliche Interessen haben. Da bin ich doch in meinem Element. Und das Wetter ist auch wunderbar. Die ersten Frühlingstage sind da, der Mantel wandert auf den Arm. Wolkenloser hellblauer Himmel, die meisten schauen mit geschlossenen Augen gen Sonne und lassen die Wärme ins Gesicht scheinen.
Doch plötzlich bricht ein Wind los, es fängt an zu regnen, alle strömen von der Bühne fort, auf der gerade Guns’n Roses spielt, um Schutz zu finden. Hektik bricht aus, Menschen verlieren sich, es sind tausende vor Ort, fast alle klitschnass, das Gewitter wächst sich auf einen respektablen Sturm aus und hält zwei Stunden alle in Atem. Danach, als sei nichts gewesen, setzt Axel mit seinen Jungs das Konzert fort. In voller Länge, bis zum Schluss! Was für ein Abenteuer.
Mein Blick wandert weiter zu den jungen Leichtathleten, die die Elite des Turnsports zu sein scheinen. In glitzernden, bunt bestickten Anzügen schwingen sie, musikalisch begleitet, durch die Räumlichkeiten und Aufbauten. Welche Körperbeherrschung, welche Anmut ... zwei Stunden ziehen vorbei wie im Zeitraffer. Eine Vorstellung der ganz besonderen künstlerischen Art.
Und dann sehe ich die Eisfläche, auf welche der gläserne Flügel von Udo Jürgens hinaufgeschoben wird! Mir stockt der Atem! Da kommt er auch schon, setzt sich mit seiner unverkennbaren Art an seinen Flügel, begrüßt die Zuschauer und spielt. Seine Musik mag Geschmacksache sein. Diese Vorführung aber ist richtig gut.
Ich atme mit ausgebreiteten Armen tief ein, während ich mich auf dieser Freifläche, zwischen zusätzlichen 392.000 qm Hallenfläche, einmal um die eigene Achse drehe. Das Leben ist einfach schön!
Und dann sind wir auch schon dran, Messehalle 25, Check-in, Formular, hin, Formular her - ich fühle mich wie vor einer Urlaubsreise, was definitiv am Check-in liegt - noch ein Stempel, Beratung, Formular hin, Formular her, endlich die ersehnte Impfung, warten, Check out und raus. Ein wenig wundere ich mich, dass ich nicht irgendwo am Strand stehe.
Wir gehen auf den Shuttlebus zu und ich weiß endlich, warum dieser Ort als Impfzentrum für die ganze Region auserwählt wurde Damit allen aus Hannover und der Region ganz klar wird: Egal wie lange es noch dauern wird, es wird zurückkommen. Der Teil des Lebens, den wir vermissen, wird wiederkommen. Mit Versammlungen, Veranstaltungen und Messen, Konferenzen, Treffen, vollen Gottesdiensten. Unbeschwert, fröhlich, intensiv, kommunikativ. Es wird wieder so sein.
Damit wir nicht vergessen, wie das war, sollten wir uns ab und zu daran erinnern. Wo geht dies besser, als an diesem Ort, wo so viele verschiedene Veranstaltungen schon durchgeführt wurden?
Zurück im Schutze der vier Wände trage ich meine Erinnerungen an die verschiedensten Veranstaltungen zusammen. Fotos, Videos, Becher von Stars, die ich lange suchen muss, T-Shirts, Flyer, Poster...
Mir wird klar, dass der eigentliche Schatz nicht die Gegenstände oder die Fotos sind. Der eigentliche Schatz sind die sinnlichen Eindrücke, die dadurch erinnert werden. Und dies macht mich dankbar. Dankbar für alles Schöne, Interessante, Neue, Bewegende, dem ich in meinem Leben schon begegnen durfte.
Idil Rack