Weihnachten
Engel im Alltag
Es mag im „Jahr 1 nach Piepenbrink“ gewesen sein … am Heiligabend. Jedenfalls leiteten erstmals „die Rensings“ das Krippenspiel. Unsere beiden Kinder im Vorschulalter waren stolz, in der Engelschar mitzuspielen. An allen Proben nahmen sie begeistert teil. Liebevoll hatten wir gemeinsam Flügel gebastelt, die passenden weißen Kleidchen hatte eine Freundin extra genäht - mit Goldkante … hinreißend.
Am 24. Dezember zogen wir gerade noch rechtzeitig von zu Hause los um pünktlich im Gemeindehaus den 4 und 5 Jahre alten Mädchen die Kostüme und die Engelsflügel anzulegen und um letzte Instruktionen entgegenzunehmen.
In meiner Erinnerung war ich an diesem Abend bereits etwas aus der Puste: Den ganzen Tag hatte ich Vorbereitungen getroffen um am Abend die perfekte Gastgeberin, Köchin, Mutter, Weihnachtsfrau … zu sein. Also: Tannenbaum geschmückt, Essen vorbereitet, Kinder beschäftigt, letzte Geschenke verpackt, Haus geputzt, Tisch feierlich gedeckt, Gäste begrüßt … puh - und nun also noch Gottesdienst mit Krippenspiel.
In der Umkleide lag Aufregung in der Luft … bei Kindern, Eltern, Initiatoren. Immerhin stand ja nicht nur das Krippenspiel bevor sondern auch der Weihnachtsabend mitsamt Bescherung, Besuch, Essen u.s.w .
Kerstin Rensing begrüßte uns inmitten der aufgeregten Kinderschar. Lautstarkes Gewusel um uns herum, Lampenfieber … Plötzlich zupfte die vierjährige Carolin mich am Rockzipfel: „Mama, ich will das Engelkleid nicht anziehen“ tönte es kaum hörbar. - Oh je. Ich schaute in große, ernste braune Kinderaugen. Überredungsversuche zwecklos.
Schlagartig gingen mir mehrere Gedanken gleichzeitig durch den Kopf: Das Krippenspiel ist freiwillig und sollte für meine Tochter kein Zwang sein. Andererseits hatte sie eine Aufgabe übernommen und somit eine kleine Verpflichtung. Eben noch hatte sie sich doch auf das Krippenspiel gefreut! Was würde die neue Diakonin sagen, wenn wir inmitten dieses Chaos, wenige Augenblicke vor Beginn, nun absagen?
Es war einfach, Kerstin zu finden, denn ihre unbändige üppige Lockenpracht war ja nicht zu übersehen. „Carolin möchte nicht mitspielen, Kerstin“, sagte ich kleinlaut zu ihr. Wir beide schauten Carolin nachdenklich an. Diese blickte mit Tränen in den Augen zu uns auf.
„Neiiin! Ich will ja mitmachen!“, schluchzte sie zu unserer Überraschung, „aber ich will das Engelkleid nicht anziehen.“
Kerstin hat uns damals einfach angelächelt. Erst Carolin dann mich. „Na und ..?“, sagte sie ganz ruhig: „dann bleibt das Kleid eben in der Tasche und du gehst so, wie du bist. Wer sagt denn, dass alle Engel immer weiße Kleider anhaben?“
Mit einem Schlag war alle Anspannung weggezaubert, alle Aufregung hatte sich urplötzlich in Luft aufgelöst. Das kleine Mädchen an meiner Hand strahlte vor Freude. Wie einfach schien plötzlich alles: Engel haben eben nicht immer weiße Kleider an! Unendlich erleichtert und sehr dankbar verfolgte ich später schmunzelnd das Krippenspiel: Es standen an diesem Abend viele kleine und größere Engel neben dem Altar. Einer von ihnen hatte eine unbändige, üppige Lockenpracht auf dem Kopf und ein kleiner Engel trug ein leuchtend rotes Samtkleid.
Claudia Lambrecht